ursula teicher-maier

DANN STEHEN DIE HUNDE AUF

UND WERDEN GEDANKEN


menschennester


 

Nachtflugverbot

 

Wie still die großen Flugzeuge nun nachts am Flughafen stehen

Als warteten sie auf einen verloren gegangenen Passagier

Während wir uns bisweilen im Bett aufsetzen

Um einmal wieder unsere Flügel anzuprobieren

Die aus den weißen Gänsefedern

Die aus unseren abgestandenen Träumen

Die die nun unsere Kopfkissen sind

Doch wir wissen dass das Wachs geschmolzen ist

Weil wir unseren Vätern wieder einmal nicht gehorchten

Und dieses Leben in einer Nachtgeschichte wählten

In der das Wasser unser einziger Himmel bleibt

Bis all jene Flugzeuge am Morgen ihr Kreuz

An die richtige Stelle setzen

Dann erkennen wir dass Fliegen nur eine Form von Ertrinken ist

 

@UTM

                                                                      (weitere Texte unter www.ursula-teicher-maier.de)


Mahnwache

Der Mann und die Frau halten Mahnwache. Mit dem Mann und der Frau halten ein Polizeiwagen und ungefähr fünfhundert andere Männer und Frauen Mahnwache. Ein Mann verteilt Schilder an alle. Eine Frau verteilt Kerzen an alle.  Jede Frau und jeder Mann hält nun in der einen Hand eine Kerze und in der anderen ein Schild. Auf den Schildern steht Je suis Charlie. Das ist doch Quatsch, sagt der Mann. Das ist symbolisch gemeint, sagt die Frau. Und: Man müsste drei Hände haben. Der Mann schaut sich um. Ungefähr fünfhundertzwei Frauen und Männer sind jetzt angeblich Charlie. Das kann man doch besser ausdrücken, murmelt der Mann. Die Frau antwortet nicht, sie ist mit ihren drei Händen beschäftigt. Die dritte Hand wäre für ihre Handtasche und für drei Einkaufstüten zuständig. Du könntest ja auch mal, sagt sie zum Mann. Ich kenne ja Charlie noch nicht mal, sagt der Mann. Die Männer und Frauen ringsum sprechen über alles Mögliche. Niemand spricht über die Mahnwache. Eine Straßenbahn fährt vorbei. Alle halten die Jesuischarlieschilder und die Kerzen hoch. Der Fahrtwind der Straßenbahn bläst die Kerzen aus. Einige der ungefähr fünfhundertzwei Frauen und Männer singen We shall overcome. Einige der ungefähr fünfhundertzwei Frauen und Männer gehen nach Hause. Wir nehmen die nächste Bahn, sagt die Frau. Sie steckt die Jesuischarlieschilder und die erloschenen Kerzen in eine der drei Einkaufstüten. Mann und Frau steigen in die nächste Straßenbahn. Draußen halten nun noch ein Polizeiwagen und ungefähr zweihundertdreißig Frauen und Männer Mahnwache für Charlie Hebdo. Ungefähr zweihundertzweiundsiebzig Jesuischarlieschilder halten in Rucksäcken, Einkaufstüten und Papierkörben Mahnwache für das Nichts und das Wiedernichts.

Pegida

Die Frau schaut aus dem Hotelfenster. Unten auf der Straße stehen Menschen. Die Menschen unten auf der Straße halten Schilder hoch. Auf den Schildern steht zB Lügenpresse. Auf den Schildern steht zB Heimatschutz. Auf den Schildern steht zB Stoppt Islamisierung. Die Menschen unten auf der Straße setzen sich in Bewegung. Die Menschen unten auf der Straße rufen Wir sind das Volk. Die Menschen unten auf der Straße haben entschlossene Gesichter. Was die wohl wollen, fragt die Frau den Mann. Doch der Mann ist mit den Streichhölzern beschäftigt. Die Streichhölzer sind von dreiundfünfzig. Der Mann will nur eine Zigarette rauchen. Die sind feucht geworden, murmelt er. Der Mann nimmt Streichholz um Streichholz aus der Schachtel. Er reibt Streichholz um Streichholz an der Reibefläche, doch Streichholz um Streichholz entzündet sich nicht. Die denken, das Boot sei voll, sagt er dann zur Frau. Das Boot ist kein Boot mehr, sondern ein Meer, sagt sie. Das Meer ist kein Meer mehr, sondern ein Grab, sagt er. Die Frau wühlt ein Feuerzeug aus ihrer Handtasche und reicht es dem Mann. Der steckt sich eine Zigarette an und lehnt sich zum Rauchen aus dem Fenster. Die Asche bleibt lange an der Zigarette hängen. Dann fällt sie plötzlich ins Dunkle. Mann und Frau schauen hinter der Asche her. Aber das Dunkle hat die Asche verschluckt. Am Grunde des Dunklen brennen die Menschen.

                                                                                                                                           ©UTM

 


Vita

 

„Das Wort ist ein Hohlraum, bewohnbar im Fallen.“

Die Lyrikerin Ursula Teicher-Maier lebt zur Zeit in Dieburg. Sie schreibt Reiseartikel, ist VS-Mitglied, Mitglied des Exil-P.E.N., der europäischen Literaturvereinigung "KOGGE" und der Künstlerinnen-Gruppe „fishing for art“, die seit 2008 Quartier im Wixhäuser Bahnhof bezogen hat. Hier ist sie zusammen mit Marina D'Oro zuständig für literarische Veranstaltungen wie den Literatur-Marathon. Seit 2004 entdeckt Ursula Teicher-Maier an den unterschiedlichsten Orten „Poesiezonen“ und steckt sie ab - das heißt Räume, in denen Poesie den ihr zustehenden gesellschaftlichen Wert (zurück)erhält.

 www.ursula-teicher-maier.de

Veröffentlichungen in überregionalen Zeitungen, in Anthologien, im Rundfunk und im Fernsehen, in den Zeitschriften „Der Literat" und „Der Literaturbote", „Manuskripte“, „Das Gedicht“, im HR, Studio für Literatur. Einzelveröffentlichungen u.a. siehe unten.

 

 AUSZUG:

1998: HB-Bildatlas "Tauber und Neckar", Hamburg, zusammen mit Jutta Schütz,
1999: „UTM, Nichts als Gedichte", Lyrik-Kunst-Postkarten, Litblockin Verlag (gestaltet von Berhard & Meyer), Fernwald-Gießen,
ebenda: „Streublumenmuster, Lyrik + Cello", CD mit Gunilda Wörner.
1985 und 1987 Teilnahme am Literarischen März in Darmstadt
1987 Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis für Literatur (Lyrik)
1988 Einladung nach Cuxhaven im Rahmen des Ringelnatz-Preises
1995 Arbeitsstipendium des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst
1996 Einladung nach Meran zur Endauswahl des Meraner Lyrikpreises
1996 Nominierung für den Dresdner Lyrikpreis
1997 Mitorganisation und Teilnahme an der Veranstaltung „Herbsttage“ in Darmstadt
1999 Teilnahme an der Veranstaltung „Centenarium“ auf der Mathildenhöhe, Darmstadt
1998-2001 Teilnahme am Projekt „Rhythmus und Ornament“ der Künstlerinnen-Gruppe „fishing for art“
2004 Teilnahme an Ausstellung und Symposium „Grenzen“, einem Projekt des Ffz der TUD + FHD und k´IN, in der HEAG-Halle, Darmstadt
2005 Teilnahme an Projekt und Ausstellung „Beigesellt“ - Arbeiten zu Christine Lavant von „fishing for art“ in der Kunstfabrik, Darmstadt
2008 Organisation und Teilnahme am Projekt „Positionen: 1970 – 2008. Vom feministischen Aufbruch zur Normalität?“ von k’IN und Ffz der TU Darmstadt.

 2010              Spiel von Sinnen, Lyrik-Musik-CD mit Marina D'Oro, Susanne Resch, Eiko Yamada und Gunilda Wörner

 2013              Das Reiben der Vögel an Mozart, Gedichte, Horlemann Verlag

 2015              Kühe und Locken drehen, Prosa, Pop Verlag

 2015              Ausstellung: "Sag doch mal Himmel. Sind die Grenzen unserer Sprache wirklich die Grenzen unserer Welt?" gemeinsam mit JO

 2017              Von dem oder der Algarve, Reiseprosa mit 82 farbigen Abbildungen, Pop Verlag, 2017


"Spiel von Sinnen. Als habe ein Stern begonnen sich rückwärts zu drehen."

Lyrik + Musik, CD von 2010, Lyrik: Marina D'Oro, Ursula Teicher-Maier, Cello: Gunilda Wörner, Flöte: Eiko Yamada, Saxophon: Susanne Resch

poesiezone wxhpoesiezone mchn

Titel: Pediküre  © ursula teicher-maier, gunilda wörner, susanne resch, eiko yamada


"Streublumenmuster"

19 Cello-Improvisationen + 19 Gedichte, CD von 1999, Lyrik: Ursula Teicher-Maier, Cello: Gunilda Wörner

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Zu beziehen über: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Titel: Kaffee I, © ursula teicher-maier, gunilda wörner


 

SAG DOCH MAL HIMMEL

Sind die Grenzen meiner Sprache wirklich die Grenzen meiner Welt?

Das Thema Sprache beschäftigt die Lyrikerin Ursula Teicher-Maier und die bildende Künstlerin jo. Der Zugang beider ist unterschiedlich; daraus entsteht Spannung. Spannung erzeugt Neues: Arbeiten, die unterschiedliche Aspekte des großen Themas Sprache respektlos zergliedern und zugleich humorvoll zusammenführen. Sie bewegen sich in und um die Bereiche: Wissenschaftssprache, Sprache und Gesellschaft, Sprachphilosophie, Literatur, Religion, aber auch Körpersprache und vorsprachliche Äußerungen von Lebewesen. Und sie stellen sich Fragen wie: "Was verstehe ich, wenn ich nichts verstehe?" und "Was verstehe ich, wenn ich alles verstehe?". Medien der Ausstellung sind Video, Zeichnung, Skulptur, Klanginstallation und Text.  Ludwig Wittgensteins Aussage: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." ist eine Folie, auf der die beiden Künstlerinnen malen.

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ADORNO / TEICHER-MAIER 

 

P1130498EIN GEDICHT IST EIN AUGENBLICK, DER IN DIE UNENDLICHKEIT SCHAUT.

 

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LAUTE / TEICHER-MAIER